Mit Radarstrahlen Gletscher erforschen

Die Forschenden sind jedoch nicht nur an der Gletscherschmelze interessiert. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen sie die Dicke der Schneedecke direkt mit dem Radar messen k?nnen. Zurzeit ist das vor allem Handarbeit: Die zuverl?ssigste Methode, die Schneeh?he zu ermitteln, ist, auf den Gletscher zu gehen und eine lange Sonde in den Schnee zu stecken. Das ist nicht ungef?hrlich, denn der Eisstrom hat hier oben zahlreiche Spalten.

Fernerkundung Verbessern

Im improvisierten Kontrollraum stehen Irena Hajnsek und Esther Mas i Sanz hinter Marcel ?tefko. Er hat am Tisch Platz genommen und den Laptop aufgestartet. Er will pr¨¹fen, ob die einlaufenden Daten brauchbar sind. Mit noch immer steifen Fingern tippt er ein paar Befehle und ruft ein Bild auf, das einem medizinischen Ultraschallbild ?hnelt.

Auf dem Bildschirm zu erkennen sind schwarze und weisse Bereiche, sowie verrauschte Partien mit einzelnen farbigen Pixeln. ?tefko deutet mit dem Finger auf eine dieser Runzeln und erkl?rt: ?Das hier ist eine Gletscherspalte, der schwarze Bereich liegt im Radarschatten, das Weisse reflektiert die Strahlung stark, deshalb ist sie so hell.? Die Graubereiche weisen darauf hin, dass der Schnee, abh?ngig von seinen Eigenschaften, Radarstrahlen reflektiert.

Der Ursprung des Radarprojekts auf dem Jungfraujoch liegt nicht nur im Bestreben, die Kryosph?re rund ums Jungfraujoch genau zu untersuchen. Ein weiteres Ziel ist auch, mit den am Boden erhobenen Daten die Radar-Fernerkundung mit Satelliten zu unterst¨¹tzen und zu verbessern.

Den Bezug zur Satelliten-Fernerkundung hat Irena Hajnsek hergestellt: Sie ist am Design und an der Konzeption einiger europ?ischer Radarmissionen beteiligt und hat vor ihrer Anstellung an der ETH Z¨¹rich die wissenschaftliche Koordination der TanDEM-X-Mission des Deutschen Zentrums f¨¹r Luft- und Raumfahrt (DLR) ¨¹bernommen. Diese Mission hatte zum Ziel, mittels Radarmessungen von der gesamten Landoberfl?che der Erde eine hochaufgel?ste topografische Karte zu erstellen. Dazu schoss das DLR im Jahr 2007 den ersten Satelliten ins All, drei Jahre sp?ter den zweiten.

Die Zwillingssatelliten umkreisen sich w?hrend ihres Flugs um die Erde auf spiralartigen Bahnen. Jeder der beiden Satelliten verf¨¹gt ¨¹ber ein Radarsystem. Die Fachleute sprechen von einer bistatischen Radarkonfiguration. Aus den damit erhobenen Daten generierten DLR-Forschende hochaufgel?ste dreidimensionale H?henmodelle.

Obwohl die TanDEM-X-Mission ihr Ziel l?ngst erreicht hat, l?uft die Mission weiter. Die Zwillingssatelliten kreisen noch immer um die Erde, unter anderem, um Landnutzungs?nderungen wie Rodungen zu erkunden. TanDEM-X fliegt auch alle elf Tage ¨¹ber das Jungfraugebiet, das in die Liste der ?Supertestsites? aufgenommen wurde. Von diesen Gebieten werden ¨¹ber mehrere Jahre regelm?ssig Aufnahmen gemacht, um deren rasche Ver?nderungen dokumentieren zu k?nnen.

Im Lauf der Jahre haben Hajnsek und ihre Mitarbeitenden ein bodengest¨¹tztes Radarsystem namens KAPRI entwickelt, das im Grunde genommen die bistatische Radarkonfiguration von TanDEM-X simuliert und vorbereitend f¨¹r weitere bistatische Missionen neue Erkenntnisse liefert.

?Das Bodenradar liefert uns in kurzer Zeit sehr viele Daten ¨¹ber ein bestimmtes Gebiet und ist flexibel ¨C wir k?nnten es fast ¨¹berall aufbauen. Voraussetzung ist nur, dass es auf einem erh?hten Punkt steht?, betont die ETH-Professorin. Der Nachteil sei, dass ihr Radarsystem nur ein kleines Gebiet abdecke, die Satellitenradare hingegen die ganze Erde. ?Weil wir aber genau wissen, was wir mit unseren Radaren anschauen, k?nnen wir die erhobenen Daten einfacher interpretieren und einer bestimmten Oberfl?che genau zuordnen. Das hilft, die aus dem All erfassten Daten besser interpretieren zu k?nnen.?

Ideales Testgebiet

Eine gute Stunde haben die drei Forschenden gebraucht, um zwei Radare verteilt auf zwei Terrassen aufzubauen. Irena Hajnsek steht dicht eingemummt mit Gletscherbrille, dicken Fingerhandschuhen und in Lammfell-Winterstiefeln neben dem Radarger?t auf der unteren Terrasse; sie streckt die Arme aus und dreht sich sechzig Grad im Kreis. ?In diesem Bereich erfassen wir das Terrain?, erkl?rt sie.

Von hier aus schweift der Blick ¨¹ber einen grossen Teil des oberen Aletschgletschers bis weit ¨¹ber den Konkordiaplatz, wo vier Gletscherarme zusammentreffen, hinaus. Forschung ist hier nur m?glich dank der hervorragenden Infrastruktur der Hochalpinen Forschungsstation. Die Forschenden finden hier alles, was sie brauchen: eine zuverl?ssige Stromversorgung durch die Jungfraubahnen, drahtloses Internet, eine gem¨¹tliche Unterkunft mit voll ausgestatteter K¨¹che und den unverbauten Blick auf den Gletscher.  Zudem k?nnen die Forschenden ¨¹ber einen Stollen direkt auf den Gletscher gelangen, um Eis- und Schneeproben zu sammeln und Corner-Reflektoren ¨C Eichungsger?te f¨¹r die Radare ¨C aufzubauen.

?Das Jungfraujoch ist f¨¹r unser Projekt daher die ideale Testumgebung, und wir sind dankbar, dass wir die Infrastruktur der Hochalpinen Forschungsstation Jungfraujoch nutzen k?nnen?, sagt Hajnsek, die froh ist, dass sie und ihre Mitarbeitenden hier so gut unterst¨¹tzt werden.

Fahrbarer Bodenradar

Die Sonne hat sich durchgesetzt, die Wolken haben sich fast ganz aufgel?st. Noch immer zeigt das Thermometer minus zw?lf Grad Celsius an, der Wind f?hrt einem durch Mark und Bein. Marcel ?tefko hat eine der balkenf?rmigen Antennen abmontiert und tr?gt sie vorsichtig zur¨¹ck in die Abstellkammer neben dem Kontrollraum. ?Die Regel ist, dass wir 40 Minuten vor Sonnenuntergang die Radarantennen abbauen?, sagt er. Kalte Finger sind garantiert, wieder, denn um die feinen Halteschrauben zu l?sen, muss er die Handschuhe ausziehen.

Noch zehn Tage werden ?tefko und Mas i Sanz hier oben bleiben und weitere Messungen machen. Mitte M?rz geht die Fr¨¹hlingsmesskampagne zu Ende. Im Sommer wird eine weitere folgen. ?tefko hat ein neues System entwickelt, das er ausbauen m?chte. Bei diesem System f?hrt einer der beiden Radare auf einer Schiene langsam von rechts nach links. Damit simuliert er die Pendelbewegungen des TanDEM-X-Satellitenpaars. Solche Distanzabweichungen beeinflussen die erfassten Radarsignale stark. Wie gross der Effekt ist, wollen die Fernerkundungsspezialisten mit dem Schienenradar herausfinden.

W?hrend der Messkampagne im M?rz haben sie das System mehrmals aufgebaut und getestet. Schnee und K?lte haben aber die Forschenden vor unerwartete Herausforderungen gestellt: ?Das verwendete Equipment ist nicht f¨¹r solch harsche Bedingungen ausgelegt. Wir mussten es technisch anpassen, damit es auch hier oben funktioniert?, sagt der Postdoktorand. ?Wir entwickeln die Technologie laufend weiter. Als N?chstes m¨¹ssen wir die Daten bearbeiten und pr¨¹fen, um zu schauen, welche Richtung wir f¨¹r die kommenden Messungen einschlagen.? Die ETH-Forschenden werden daher weiterhin in eisige H?hen aufsteigen, um die Geheimnisse der Kryosph?re zu l¨¹ften, die sich derzeit dem Radarauge entziehen.